Herr Dr. Fuest, bei HQAM beschäftigen Sie sich mit Risikoprognosen für Investmentprozesse: ein Thema nur für institutionelle Investoren?
Jeder Anleger sollte seine Risiken managen. Manche Investoren, vor allem institutionelle, müssen sich aber mit diesem Thema beschäftigen. Beispielsweise, weil sie Kursverluste begrenzen oder bestimmte Risikogrenzen nicht überschreiten dürfen oder möchten.

Eine gewisse Aversion gegen Drawdowns ist nachvollziehbar. Wie setzt man eine solche Absicherungsstrategie um?
Volatile Märkte und niedrige Zinsen erfordern vorausschauende Investmentkonzepte. Im aktuellen Marktumfeld genügt es nicht mehr, auf herkömmliche Strategien zu setzen, die erst reagieren, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist.

So gehen traditionelle Wertsicherungskonzepte vor …
Traditionelle Overlay-Konzepte versagen im Niedrigzinsumfeld. Sie geben lediglich Regeln vor, was zu tun ist, wenn starke Wertverluste auftreten. Im einfachsten Fall geht es um die Allokation von Aktien und Renten: Fallen die Aktien, wechselt man in Renten. Hält der Abwärtstrend an, wird mehr umgeschichtet. Am Ende ist der Kunde komplett in Anleihen investiert und die Wertuntergrenze hoffentlich eingehalten.

Das war doch auch das Ziel. Wo ist das Problem?
Es gibt es bei diesen Konzepten keine eingebaute Mechanik, wie der Asset Manager wieder in den Markt kommt. In der „guten alten Zeit“ war das nicht schlimm, da Renten Zinsen brachten. Lagen diese beispielsweise bei 6 Prozent, konnte man nach einer gewissen Zeit wieder Geld anlegen: die Zinsen. Doch die gibt es nicht mehr. Wer auf 90 Prozent gefallen ist, bleibt bei diesen 90 Prozent. Der Anleger ist im Cash Lock gefangen.

Und was macht HQAM?
Wir arbeiten mit Risikoprognosen: Die Idee ist, das Risiko im Portfolio im Zeitablauf stets konstant zu halten. Man bekommt die Schwankungen der Märkte unter Kontrolle und erhält als Belohnung nicht nur geringere Schwankungen, sondern – vor allem durch die Abfederung sehr hoher Drawdowns - in aller Regel auch eine höhere Performance.

Wie bekommen Sie das hin?
Wenn Sie die Dax-Performance des heutigen Tages kennen, können sie daraus keine Rückschlüsse auf seine Entwicklung am Folgetag ziehen. Was wir dagegen gut prognostizieren können, ist die Volatilität. Wenn wir wissen, dass sich der Markt gestern stark bewegt hat, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er das heute wieder tut. Das nutzen wir aus: Das Risiko wird in einer bestimmten Bandbreite sein, auf die wir dann unsere Asset Allocation im Portfoliokontext anpassen können.

Das heißt, Sie glätten das Risiko weg?
Mit unserem Target Risk-Ansatz können wir Risiken sehr genau quantifizieren. Hat die Volatilität einen Peak, werden Aktien heruntergewichtet. Ist sie niedrig, steigt ihr Anteil. Neben der Volatilität berücksichtigen wir aber auch Extremrisiken, die sogenannten Fat Tails, sowie unterschiedliche Korrelationsregimes. Dabei transformieren wir die Risiken des Portfolios so, dass das Risiko immer gleich ist. Kurz gesagt: Wir diversifizieren uns über die Zeit und managen den Kunden aktiv durch die Krise.

Auf welchen Zeitraum können Sie Risiken vorhersagen?
Das Modell stellt sich sehr schnell auf ein neues Risikoumfeld ein – Kurzfristprognosen sind daher sehr zuverlässig. Für längere Zeiträume macht eine solche Einschätzung keinen Sinn mehr. Vereinfacht gesagt, ist es eine Wetter- und keine Klimaprognose. Sprich, wir können vorhersagen, ob Sie am Wochenende einen Regenschirm benötigen. Aber nicht, ob Sie das Haus mit Blick auf die kommenden Jahre zusätzlich dämmen sollten.

Das heißt, Sie geben eine Art Garantie gegen Kursverluste?
Eine Garantie im eigentlichen Sinne gibt es natürlich nicht. Jedoch können wir mit einer statistisch seriösen Konfidenz zum Beispiel beurteilen, dass unser Portfolio über den kommenden Monat hinweg nicht mehr als fünf Prozent verlieren wird. Diese Kennziffer ist durch die Höhe des Gewichtes risikobehafteter Anlageklassen im Portfolio determiniert. Wenn ein Investor bereit ist, höhere Risiken einzugehen, bedeutet dies im Umkehrschluss auch höhere Ertragschancen.

Wie sind die Auswirkungen der Target Risk-Strategie konkret?
Wie geschickt wir das Risiko steuern, erkennt man beispielsweise in Krisenphasen wie etwa in den Jahren 2008 und 2009: Wenn es an den Märkten richtig knallt, sind wir nur noch zu geringem Maße in Aktien investiert. Erholt sich der Markt, sind wir relativ schnell wieder investiert.

Die langfristige Outperformance kommt also vor allem aus den Abschwungphasen?
Da Korrelationen und Fat Tails in Krisen typischerweise zunehmen, ist Risikosteuerung insbesondere in Krisenphasen essenziell. Target Risk hilft im Abschwung das Gewicht risikobehafteter Assets rechtzeitig zu verringern und schwächt Drawdowns dadurch ab.

Funktioniert Ihr Modell nur für die Aktienmärkte?
Target Risk optimiert die Diversifikation eines Portfolios sowohl im Querschnitt über Assetklassen hinweg als auch über die Zeit. Sprich, das Konzept ist genauso für Kunden mit einem Multi Asset Portfolio geeignet. Denn wenn morgen ein Schock am Aktienmarkt kommt: Wie weit wird das den Rentenmarkt tangieren, wie stark sind die einzelnen Assets miteinander korreliert? Für Investoren ist das eine sehr wichtige Aussage. Sie ermöglicht das Heben weiterer Diversifikationspotenziale.

Und was kostet mich das Heben weiterer Diversifikationspotenziale?
Das hängt vor allem davon ab, wie komplex das Portfolio ist. Am Ende ist es eine Art Versicherung: Man zahlt eine kleine Prämie ein und bekommt im Versicherungsfall Geld zurück.

Zum Interviewten

Dr. Andreas Fuest beschäftigt sich mit Risikoprognosen. Zudem macht er mittels statistischer Lernalgorithmen und künstlicher Intelligenz große Datenmengen für die Investmentprozesse von HQAM nutzbar. Andreas Fuest verfügt über Erfahrung im Risk Engineering und der Konstruktion von Multi-Asset-Portfolien. Er studierte Volkswirtschaft und Statistik an den Universitäten Münster und München und promovierte in München über Risikomodellierung im Hochfrequenzhandel.

Zu HQAM

HQ Asset Management (HQAM) gehört zu den Finanzdienstleistern der Familie Harald Quandt. Das Unternehmen bietet einen klaren Fokus auf quantitatives Asset Management für institutionelle und semi-institutionelle Anleger. Kunden sind Banken und Versicherungen ebenso wie Pensionskassen und Stiftungen. Maßgeschneiderte Portfolios stehen bei den Lösungsansätzen stets im Vordergrund.

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Dr. Andreas Fuest
Senior Researcher
HQ Asset Management (HQAM)
Dr. Andreas Fuest beschäftigt sich mit Risikoprognosen. Zudem macht er mittels statistischer Lernalgorithmen und künstlicher Intelligenz große Datenmengen für die Investmentprozesse von HQAM nutzbar. Andreas Fuest verfügt über Erfahrung im Risk Engineering und der Konstruktion von Multi-Asset-Portfolien. Er studierte Volkswirtschaft und Statistik an den Universitäten Münster und München und promovierte in München über Risikomodellierung im Hochfrequenzhandel.
Inhalt
In Phasen niedriger Zinsen stoßen die traditionellen Methoden der Risikosteuerung eines Portfolios an ihre Grenzen. Risikoexperte Andreas Fuest über Drawdowns, Fat Tails – und wetterfeste Portfolios.